Dr. Dzirlo im Beratungsgespräch
zurück zur Übersicht

Wenn Sorgen auf den Magen schlagen

Medizin
Unsere Einrichtungen

Jürgen P. leidet seit dem zwölften Lebensjahr am Reizdarmsyndrom. Eine unendliche Leidensgeschichte mit ersten Behandlungserfolgen zeigt die Bedeutung der sogenannten Darm-Hirn-Achse.

Von Claudio Honsal

Jahrelange Schmerzen im Magen-Darm-Bereich, immer wiederkehrende Diarrhö oder Verstopfung gehen oft mit einem großen Leidensdruck einher. Sie sind häufig Symptome des Reizdarmsyndroms (RDS). Die Ursachen sind multifaktoriell und stehen oft mit Depressionen und Angststörungen in Verbindung.

Primaria Dr.in Larisa Dzirlo, MSc, ist Leiterin der III. Medizinischen Abteilung für Innere Medizin und Psychosomatik am Barmherzige Schwestern Krankenhaus Wien. Sie weiß, warum sich Sorgen auf den Magen oder Darm schlagen. „Das Gehirn steht mit dem Magen-Darm-Trakt in permanenter direkter Verbindung, über die sogenannte Darm-Hirn-Achse.“ Viele Patient*innen hätten eine vulnerable Disposition, die bei Auslösern wie psychischem Stress genau hier reagieren.

In der Schule begann die Misere

Das komplexe Symptombild von RDS erfordert die gebündelte Expertise von Spezialist*innen aus Innerer Medizin, vor allem der Gastroenterologie, Allgemeinmedizin, Psychiatrie, Psychotherapie, Klinischen Psychologie und Diätologie. Das Wiener Spital nimmt bei der Behandlung psychosomatischer Erkrankungen seit über 30 Jahren eine Vorreiterrolle ein.

Jürgen P. ist Dzirlos Patient. Schon seit drei Jahrzehnten leidet der 42-Jährige an chronischem Reizdarmsyndrom. „Alles begann 1994. Ich litt an unkontrollierbarer Verstopfung, Durchfall und Krämpfen. Und mein Bewegungsradius spielte sich ausschließlich zwischen Klassen- bzw. Wohnzimmer und der Toilette ab.“ Der Anfang eines Leidensweges inklusive jahrelangem Mobbing in der Schule und peinlichem Schämen vor Erwachsenen, die Unverständnis zeigten. „Bis Ende der 2000er-Jahre wurde bei mir nur nach körperlichen Ursachen gesucht“, erinnert sich P. an unzählige Ausschlussdiagnosen bei Ärzt*innen vieler Disziplinen. Doch erst Dzirlo diagnostizierte die psychosomatische Erkrankung.

Die langwierige Suche nach körperlichen Ursachen für andauernde Beschwerden ist für Betroffene belastend. Viele fühlen sich von ihrem Umfeld unverstanden, scheuen soziale Kontakte und werden als Hypochonder abgestempelt. „Die guten Tage im Jahr konnte ich an einer Hand abzählen“, klagt P. Der gelernte Speditionskaufmann ist seit zwei Jahren im permanenten Krankenstand.

Pandemie als Trigger

Trotz guter klinischer Werte wie bei Gesunden setzte bei P. in der Pandemie eine psychische wie gesundheitliche Abwärtsspirale ein, erinnert sich die Primaria. „Psychosomatische Erkrankungen nahmen in der Phase statistisch nachweislich zu.“ Mit ihrem interdisziplinären Team bietet die III. Medizinische Abteilung für Patient*innen ein psychosomatisches Programm. „Durch eine medizinisch-psychotherapeutische Behandlung ist es möglich, eine Verbesserung der Lebensqualität zu erreichen.“

Neue Medikamente und Therapien, zum Beispiel die dreiwöchige stationäre Behandlung oder das achtwöchige tagesklinische Programm, können den Leidensdruck präventiv senken und Beschwerden lindern. Wichtig für Betroffene sei laut Dzirlo ein strukturiertes Leben, bewusste Ernährung, sich selbst besser kennenzulernen und eine gute Beziehung zu behandelnden Ärzt*innen.

P. wünscht sich für die Zukunft neben körperlicher Erleichterung nur eines. „Dass die Gesellschaft psychosomatische Erkrankungen endlich enttabuisiert. Dass ich ernst genommen und im Alltag oder bei Ämtern nicht länger als Hypochonder abgestempelt werde.“ Leidensgenoss*innen sollten nichts unversucht lassen. „Verbesserungen sind möglich, denn wie bei mir stirbt die Hoffnung zuletzt.“

Foto: Marcus Deak

Ähnliche Beiträge zu diesem Thema